Mai 2018
Diese Ausstellung wurde im November 2017
in der cubus kunsthalle in Duisburg gezeigt.
Heiko Bartels 1947-2014
Dokumentation EinBlick (PDF 2,9 MB)
Heiko Bartels ›LICHT‹ gelesen von Paula Ellert (MP3 17 MB)
Heiko Bartels, gelesen von Renata Sharp (MP3 18,7 MB)
Zum Abschied von Prof. Heiko Bartels von der Bauhaus-Universität Weimar sollte und wollte ich über unsere lange Bekanntschaft sprechen, eine Laudatio halten, wie man im Lande Thüringen gerne sagt. Unsere endliche Lebenszeit hat das leider ausgeschlossen.
Natürlich formte sich mein „Imago“ von Heiko während seiner Krefelder Studentenjahre, wie sicherlich umgekehrt auch sein „Spiegelbild“ von mir. In dieser Zeit begegneten wir uns, der Student und der Dozent, in wohlwollendem Respekt, beinahe „kollegial“, sozusagen augenzwinkernd. Und darauf beruht diese Porträtskizze von einem klugen, umsichtigen Gestalter/Designer: Schnelles Begreifen von Aufgabestellungen, Angehen ohne Umschweife, richtiges, d. h. sachgerechtes Zuordnen von Resultaten, sehr präzise Darstellungen.
Ein junger Mann von „natürlicher“ Eleganz, von eigenwilliger Vornehmheit, die ihn beachtlich machte, großzügig wirkend, dabei keinesfalls verschlossen, vielmehr zugänglich und ansprechbar, gestisch beredt auch ohne Wortsalven. Und dann sein verständnisinniges Lächeln und der Humor dahinter, und sogleich wieder ernsthaftes Mitdenken und Ratgeben bei fragwürdigen Angelegenheiten. All das scheint mir wesentlich für Heiko.
Wie sah der Lehrplan zu seiner Studentenzeit um 1970 aus: Die Ideale des Werkbundes und des Bauhauses galten noch als gültig und sogar lebensfähig, man wollte funktionsgerechte und materialgerecht hergestellte Produkte für einen breiten Nutzerkreis optimal gestalten. Die damit befasste Abteilung an der WKS war klein, nannte sich Industrielle Formgebung und wurde vorwiegend von niederländischen Kollegen aus Eindhoven betreut (Uitenhout, Gilles). Als die Krefelder Schule 1971 (nach dem schlimmen Verlust der Architektur-Abteilung) im umstrukturierten Fachbereich Design der FH Niederrhein aufging, bereitete der ungeklärte Status des Industrial Design Schwierigkeiten und ernste Sorgen. Konnten Symmetrielehre, Gestaltpsychologie, Morphologie, Ergonomie und statistische Methoden dem Design tatsächlich einen wissenschaftlichen Rang verschaffen? Jetzt flatterten die Ansichten auseinander, die Studenten erwarteten zeitgerechte Programme und stürzten sich neugierig auf unkonventionelle Lehrangebote. Erregt versammelte man sich in unserer Bibliothek um den Philosophen Max Bense, der seine Informationsästhetik von der fortschreitenden Entropie im Universum ableitete, im Auditorium verfolgte man, so gut es ging, Siegfried Masers mathematischen Theorieansatz. Zugleich eröffneten aktuelle industrielle Errungenschaften vielfältige Chancen für experimentelle Produktionen, aber andererseits gewannen Kanalisierungen an den Märkten an Einfluss.
Um 1980 kommt die in Düsseldorf gegründete Gruppe Kunstflug ins Spiel. Voran gegangen ist ihr in Krefeld bereits der Unternehmer Karl-Heinz Schröer mit seinen italienischen Kontakten. Kunstflug will dem Design einen frischen Schub verpassen hin zur sozial angemessenen Wirksamkeit. Entschlossen probten die vier alten Kommilitonen Heiko Bartels, Hardy Fischer, Harald Hullmann und Charly Hüskes eine Revolte, deren romantisierender Impuls unübersehbar bleibt. Insofern handeln auch sie als Erben der europäischen Geistesgeschichte. Doch das angesprochene Publikum erwartet bei „Kunstfliegern“ wagemutige Artisten, die durch ihre tollkühnen Taten und verblüffenden Leistungen auffallen. Ich glaube, eher in diesem Sinne setzt sich die Gruppe Kunstflug tatsächlich ab von überkommenen (häufig auch ethisch anspruchsvollen) Konzepten des „guten funktionalen Designs“. In einer engen, zögerlichen Fachwelt entzünden die verwegenen Vier mit jugendlichem Elan ihre künstlichen Lichter und hängen Leuchtkörper an lackierte knorrige Waldbäume. Damit durchstoßen sie sogar die bisher versperrten Museumstüren.
Mittlerweile sind Jahrzehnte durchlaufen, anfangs irritierende oder provokante Entwürfe zeigen Spuren des Alterns, lagern inzwischen ein in Archiven. Über die Entwicklungen, die mit dem selbstsicher betitelten „Neuen Deutschen Design“ einsetzen, haben alle Designer nachzudenken und tagtäglich vorzudenken, zu schreiben und zu reden. Gerade ihr Tätigkeitsfeld muss permanent überdacht werden (überdenken und/oder überdachen?).
Hier interessieren vor allem die Einstellungen und Stellungnahmen von Heiko Bartels. Er verfasste ausführliche Texte zur komplizierten Situation zeitgerechter Produkt- und Kommunikationssysteme. Welche Rolle spielt noch ein einzelner Kopf, die individuelle Phantasie, die handwerkliche Kompetenz, wenn umsatzsüchtige Massenproduktionen dominieren. Welche Bedeutung hat die regionale Zugehörigkeit, was bietet die allerneueste Elektronik? Anlässlich seiner Emeritierung hat Heiko Texte ausgewählt und im noch überschaubaren Umfang zusammengestellt – hier und da verpackt in typischer Terminologie. Er schickte mir einige Artikel zum Probelesen. Seinen Leitbegriff, sein Motto halte ich für entscheidend:
Die doppelsinnige Losung von Heiko Bartels enthält: Licht und Gewicht. Ein Nachtrag aus der Vorgeschichte. Angezogen von Lichtphänomenen wird Heiko bereits in den ersten Studienjahren, in denen er auch bei mir Kurse belegt. In Erinnerung geblieben sind mir seine Versuchsreihen zum Verhältnis mehrfarbiger zylindrischer Körper in wechselnden Umfeldern unter stark modifizierten Beleuchtungen. Es zeigt sich, wie systematisch Heiko vorgegangen ist, mit klar differenzierendem Blick, vom deutlich sichtbaren Volumen bis zu den Grenzen seiner Erscheinung, bis hin zum Vernebeln der Umrisse und Verschwinden im Grund. Zweimal konnte ich Beispiele aus diesen überzeugenden Studienreihen publizieren (Krefeld, 1977 und Zürich, 1980). Haben sich derartig feine Spielräume inzwischen erübrigt, überfordern sie die sinnliche Kapazität unserer Zeitgenossen?
Wenn ich recht sehe, hat sich Heiko am liebsten in hellen Zonen bewegt und umgetan. Das „Licht“ mit seinen spontan anziehenden und aufweisenden Wirkungen; das Verwandelnde und Vorübergehende beim Berühren der Dinge, die flüchtigen Besuche von Lichtern in Räumen, ihr zufälliges Streifen über Grenzflächen. (Ich denke an die Belichtung, die Erhellung der Papierarbeiten von Petra Ellert). Zugleich wissen wir: Jenseits inszenierender Effekte sichert das beleuchtende Licht den Bestand der uns anvertrauten und angehörenden Dinge. Wir bewohnen weiterhin unsere gegenständliche Welt, selbst wenn wir sie elektronisch überformen und außerhalb unserer direkten sinnlichen Kontrolle bearbeiten.
Was insgesamt an leuchtenden und einleuchtenden Ideen und Gegenständen aus Heikos Studio hervorgegangen ist, kennen andere weit besser als ich. Eine Konferenz könnte hierzu veranstaltet werden. Lediglich zum Begriff „Light“ möchte ich noch etwas bemerken. Hinter dem Postulat, mit weniger Masse und Energie mehr zu leisten, steht nicht zuletzt seine frühe Begeisterung für Motorräder, die ihn ungemein beweglich gemacht haben. Zu dem von ihm selbst herausgestellten Beispiel notiert Heiko:
„Ein Motorrad, leicht und kompliziert. Es heißt RC 45 und steht für die faszinierende Geschichte eines Irrtums. Die Fehleinschätzung zu erwartender gesetzlichen Restriktionen und der Wunsch nach Imagewandel führte Honda gegen Ende der siebziger Jahre zu einem Motorenkonzept (V4), das mit gleichermaßen gewaltigem Aufwand an Finanzen und Kompetenz dem Wunsch nach Sporterfolgen angepasst wurde. Neben der üblichen Suche nach Leistung führte die radikale Verringerung der Masse an allen Fahrzeugkomponenten zum Erfolg. Neue Materialanwendungen wie Kohlefaserteile und dünnwandige Aluminiumgussteile beschleunigten die Technikentwicklung auf erstaunliche Weise. Die bei exzessivem Motorradfahren auftretenden Dynamikprobleme werden Gieren, Stuckern, Nicken, Pendeln, Stempeln, Rollen und Flattern genannt und sind in hohem Maß von der Masse abhängig. Dass ich in diesem Zusammenhang nicht der Frage nach dem Sinn dieser Anstrengungen nachgehe, möge nicht heißen, ich stellte sie nicht.“
Am Ende dieses Zitats klingt die dringend erforderliche, im Grunde stets notwendige Abstimmung zwischen dem technisch Möglichen und bereits Machbaren und dem darin enthaltenen (existentiellen, humanen) Sinn an. Ist aus der Differenz zwischen ihnen schon ein Riss geworden? Vorsichtig folge ich Heiko, dass Designern die vertrackte Aufgabe zufällt, beim Optimieren von Nutzen und Aufwand sachlich richtige, wirtschaftlich vertretbare, menschlich vernünftige Wege einzuschlagen und das in ständiger Rückkoppelung mit den Konditionen ihrer Zeit. Gleichsam als Kybernetiker beachten sie soziale, ökonomische, ökologische, energetische und gestalterische Faktoren komplexer Abläufe und tarieren sie aus. Sie entwickeln und verwenden spezifische Netzwerke, wohl wissend, dass sie mit „dialektisch verbundenen Bruchstücken“ auskommen müssen. Wieder so ein erdachtes Programm für Generalisten – oder für Studienordnungen!?
Demgegenüber möchte ich die designerische Tätigkeit von Heiko Bartels in direkte Beziehung bringen mit seiner kraftvollen wie auch feinmotorischen Beherrschung des Vehikels Motorrad. Die Parallele für den rasanten Lenker besteht darin, bei sehr hoher Geschwindigkeit das soeben zitierte Gieren, Stuckern, Nicken, Pendeln, Stempeln, Rollen und Flattern sicher zu unterscheiden und gleichzeitig die Bodenhaftung zu bewahren. Heikos schnelle Maschinen vermochten es, ihn kurzfristig überall erscheinen zu lassen. Sie machten ihn beinahe allgegenwärtig.
Infolge einer meiner sprunghaften Assoziationen wird er zum „Deus ex Machina“, dem Gott aus dem verborgenen, vollständig mechanisierten Theaterhimmel des Barock, der vor den Augen staunender Zuschauer in die Bühnen-Handlung eingreift. Holen wir nicht so weit aus, dann wird jener mythologisch getönte „Deus“ in einem modernen und wohl auch bescheideneren Verständnis zum „überraschenden Helfer“. Wo er überall Station machte, und was er bewirken konnte, finden wir in dieser vorzüglich eingerichteten Schau ausgebreitet.
Hans Joachim Albrecht
Hardy Fischer, Harald Hullmann, Charly Hüskes, Volker Albus, BFGF, Annemarie Burkardt, Roger Broechler, Michael Blaschke, Jan Dinnebier, Bob Evans, Norbert Faehling, Wassilij Grod, Ralf Henne, Bernd Jansen, Heinz Landes, Petra Pölking, Mario Reis, Claudia Schneider-Esleben, Stefan Schwander, Uwe Stöcker, Renata Sharp.
Petra Ellert & Paula Ellert
© 2018 bei den Autoren